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Das Provisorium

Roman
Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Hilbig, Wolfgang
Jahr: 2002
Mediengruppe: Belletristik
verfügbar

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Zweigstelle: Hauptstelle Standorte: R 11 Standort 2: Status: Verfügbar Frist:

Inhalt

Rezension: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.02.2000, S. V
Hilbig, Wolfgang: Das Provisorium. ISBN 3-10-033623-2, 3-596-15099-X, 3-596-50518-6
Wolfgang Hilbigs Roman "Das Provisorium" ist das Dokument eines Scheiterns. Er beginnt mit einem Faustkampf
auf einer Treppe in einer Boutique in Nürnberg. Gezielte Schläge strecken den Angreifer nieder. Der Schriftsteller
C. aus Leipzig setzt sich zur Wehr. Doch am Boden, so muss er dann feststellen, liegt mit verrenkten Gliedern und
verdrehtem Kopf eine Schaufensterpuppe. Der Mann aus dem Osten hat lediglich eine Chimäre des westlichen
Konsums überwältigt. Vor dem Habenrausch in den glitzernden Kaufhäusern, auf den endlosen Rolltreppen und in
den überbelegten Umkleidekabinen, vor den umlagerten Wühltischen und den klingelnden Kassen fällt dem Mann,
der doch ein Schriftsteller ist, nicht mehr ein als eine Einsicht, die selber nur eine intellektuelle Schaufensterpuppe
ist: dass Konsum die Freiheit ist, die der Westen meint. Die blinden Agenten des Konsums und Nutznießer dieser
Freiheit sitzen unterdessen in ihren brustweit geöffneten Hawaiihemden, mit blinkenden Goldkettchen und dicken
Taucherarmbanduhren am Handgelenk, beim hellen Bier zusammen und leben laut und gut.
Am 31. Oktober 1985 kann der Schriftsteller C., der in Leipzig wohnt, endlich den Osten verlassen und in den
Westen gehen. Ein so genanntes "Dienstvisum", das auf vierzehn Monate ausgestellt ist, gestattet ihm, in die
Bundesrepublik Deutschland auszureisen und in die Deutsche Demokratische Republik wieder zurückzureisen,
sooft ihm danach zumute ist. Seine Freundin Mona bleibt in der kleinen Wohnung in Leipzig. Der Schriftsteller tritt
auf Wunsch seines Westverlages eine Lesereise an. Er wohnt in Hanau, in München und schließlich in Nürnberg.
Dort liebt er Hedda, eine russische Schriftstellerin. Die Liebe geht in die Brüche. Und als die Mauer fällt, fährt der
Dichter nach Leipzig zurück.
Die Geschichte des Schriftstellers C. pendelt zwischen Ost und West. Bislang spielten alle Erzählungen und
Romane Wolfgang Hilbigs in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die er selbst wie sein Held im
Jahre 1985 verlassen hat. Wenn man von seinen vor einigen Jahren erschienenen Poetik-Vorlesungen absieht, in
denen er sich harsch mit dem westlichen Literaturbetrieb auseinander setzte, schrieb Hilbig nach der Ausreise nicht
über seine Erfahrungen im Westen. Zwar stand er dort mit beiden Beinen im Leben, mit seinem Kopf, mit seinen
Vorstellungen aber blieb er im Osten. Noch immer erzählte er von den Schwierigkeiten einer Doppelexistenz als
Heizer und Dichter in der Deutschen Demokratischen Republik, erzählte von einem Land, das von industriellen
Verwüstungen und menschlichen Verödungen heimgesucht wurde.
Der Schriftsteller C., von dem Hilbig nun berichtet, kann Unmengen trinken, Whiskey, Schnaps, Wodka, Wein und
Bier. Er greift zur Flasche nicht aus Daseinsüberschwang, sondern aus Kummer. In München lässt er sich sogar
einmal in die Heilanstalt Haar einliefern und auf Entzug setzen. Der Durst aber bleibt ungelöscht, weil die
Sehnsucht nach einer erlösenden Erfüllung, das Verlangen nach einer verlorenen Einheit, nach einer verlässlich
wirklichen und also auch seelischen Heimat wie ein Kloß in seinem Hals steckt. Er hat in jungen Jahren mit dem
Schreiben begonnen, hat Wörter in die, wie er sagt, "ungeheure Halle des Schweigens" geschaufelt, in der er die
stummen Jahre seiner Kindheit verbrachte. Er hat gegen die ihn erdrückende Last der langen Nachmittage
angeschrieben, Nachmittage, die er allein in der Wohnung saß. Er hat sich in diese Wörter eingehüllt wie in einen
Schutzmantel. Dann, als er erwachsen wird, gerät er in die bedrohliche Welt der Produktion, der Fabriken und der
Arbeiter, wird zum Maschinenschlosser ausgebildet und arbeitet als Heizer. Vor dem Koloss der Arbeit fehlt ihm
der Mut, sich als Schriftsteller zu bekennen. Woher hätte er diese Zuversicht nehmen sollen? Er schreibt gegen die
Todeszellen der Industrie an, in denen ihm sein Leben davonrinnt, und erzählt sich währenddessen Geschichten vom
Wald, von den Bäumen und den Wasserläufen seiner Jugend.
Schließlich wird er in aller Öffentlichkeit zu einem Dichter, aus dem Kessel seiner Einsamkeit aber entkommt er
nicht. Das literarische Schreiben trennt ihn von der rauen Welt der maschinellen und normierten Handgriffe, der er
aus Herkunft angehört und die er nicht vergessen kann, auch wenn er sie verlassen hat. Und es verbindet ihn mit der
empfindlichen Welt der individuellen Handschriften, einer Welt, zu der auch er sich stets zählte, obwohl er darin
nur ein Gast ohne Geburtsrecht zu sein glaubte. Das fatale Dilemma zwischen schreibender Auflösung und sozialer
Einkapselung, die wachsende Spannung zwischen dem werdenden "Ich" eines Schriftstellers und dem gewordenen
"Ich" eines Arbeiters vergrößert sich immer mehr, vor allem seit er im Westen lebte. So entsteht der unstillbare
Durst nach Auslöschung und Selbstaufgabe.
Der Schriftsteller C. steigt erinnernd in sein Schicksal hinab. Er öffnet sich nicht nur das Hemd, er reißt die Brust
mit auf, um in der Seele und ihrem Kummer zu wühlen. Ob ihm noch zu helfen ist, vermag niemand zu sagen. Ihm
fehlen die erlösenden Worte, und was er zu Papier bringt, wenn er am Schreibtisch sitzt, sind nur ein paar Notizen.
Der Vorsatz, endlich einmal die beiden Kisten mit der selbst zusammengestellten "Bibliothek des zwanzigsten
Jahrhunderts" zu öffnen und all die Bücher des Jahrhunderts der Lager und des Völkermords zu lesen, kommt ihmabhanden, weil er dabei ist, sich selbst verloren zu gehen. Zu mehr, als auf diesen Kisten in guter Absicht zu sitzen
und über das, wie er sagt, "Jahrhundert der Lüge" halbe Sätze zu sinnieren, ist er nicht in der Lage. Auch bei den
Frauen findet er keine Erfüllung für sein Verlangen nach Nähe, nach restloser, erlösender Auflösung, und sein
Alkoholkonsum trägt das Seine dazu bei, die Frau, der er nicht minder verfallen ist als der Flasche, aus seinen
Armen zu treiben.
Das Unglück, das ihm seit Kindheitstagen widerfahren ist, in einer rohen Welt zu leben, die von ihm als einem
Dichter zunächst nichts wissen wollte, lässt sich nicht mehr heilen. Der dichtende Heizer sitzt angesichts der
verlorenen Lebenszeit und eines nicht mehr wieder zu gewinnenden Glücks im Panzer seiner Verhärtung, nur im
Suff schimmert ein wenig Frieden in das Dunkel der Verbitterung. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich in
einem Provisorium einzurichten: mit dem Zug von einer Stadt in die andere zu fahren, ständig unterwegs zu sein,
durch Kneipen und Straßen zu ziehen, die Ruhe und Sammlung möglichst zu meiden, die nur Ausblicke in den
eigenen Abgrund freigeben könnte. Laut ist der Hilferuf, aus dem die Geschichte des Schriftstellers C. entsteht.
Bedingungslos ehrlich gibt sich ein Bekenntnis, aus dessen verzweifeltem Lamento kein Weg mehr zum Schreiben
und zu irgendeiner Wirklichkeit zu führen scheint. Dem Schriftsteller C. ist im Westen die Realität abhanden
gekommen, sie ist zu Versatzstücken einer banalen Konsumkritik geschrumpft. Was bleibt, stiftet dem Dichter der
triste Rausch: das Leiden eines Heimatlosen an sich selbst zwischen Ost und West.
Die Tragik des Schriftstellers C., der aus dem Osten auszog, aber im Westen nicht ankam, erschöpft sich nicht in
den alkoholgetränkten Klagen einer Seele, die nicht mehr über die Kraft verfügt, sich aufzubäumen. Denn mit der
ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik ging dem Schriftsteller nicht n

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Verfasser: Suche nach diesem Verfasser Hilbig, Wolfgang
Verfasserangabe: Wolfgang Hilbig
Jahr: 2002
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Systematik: Suche nach dieser Systematik R 11
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ISBN: 978-3-596-15099-1
Beschreibung: 2. Aufl., 319 S. : 19 cm
Schlagwörter: BELLETRISTISCHE DARSTELLUNG, DEUTSCHE LITERATUR, GESCHICHTE 1985, OSTDEUTSCHE, SCHRIFTSTELLER
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Mediengruppe: Belletristik